Text: Christopher Fromm
Die X-Alps Academy unter der Leitung von Chrigel Maurer hatte lange eine Vision, die Alpen vom südlichsten zum nördlichsten Punkt der Schweiz zu durchqueren . Ein guter Plan, ein eingespieltes Team und wunderbares Wetter waren gute Zutaten für ein spannendes und lehrreiches Abenteuer.
Es gibt Erlebnisberichte, die von Expeditionen in ferne Gebirge erzählen, einsam und gewaltig. Da zieht man vor den Protagonisten den Hut, ist völlig fasziniert, weiss aber als Leser ziemlich sicher, dass man ähnliches wohl sehr unwahrscheinlich planen, geschweige denn bewerkstelligen würde.
Die X-Alps Academy hat direkt vor der Haustür das Abenteuer gesucht und gefunden. Mit Gleichgesinnten die Faszination des Hike & Fly zu teilen und am Ende des Tages mit einem grossen Lächeln im Gesicht wieder zusammen zu sitzen, sind Momente, die diesen Sport so besonders machen.
Wer schon länger den Traum einer Mehrtages-Tour durch die Alpen im Herzen trägt, es sich aber bisher nicht zugetraut hat, darf sich von folgendem Bericht inspirieren lassen.
Erster Tag 02.08.2022
Chiasso – Soazza
Hike: 15 km und 1000 hm
Fly: 70 km
In freudiger Erwartung traf sich das Team der X-Alps Academy am Bahnhof in Chiasso/Tessin. Das erste Ziel war es, zum südlichsten Punkt der Schweiz zu laufen und dann im Anschluss zum ersten Startplatz zu gehen. Hohe Temperaturen und mässig gut markierte Wanderwege führten uns das eine oder andere Mal durch das Unterholz. Am südlichsten Punkt angekommen, war die Stimmung gespannt auf das vor uns liegende Abenteuer. Nach einem schweisstreibenden Aufstieg wurden wir nach dem Start auf knapp 1000 m mit einer super Thermik belohnt. Diese katapultierte uns mit vier Meter pro Sekunde auf eine beträchtliche Arbeitshöhe. Nach wenigen Minuten auf 2400 m ergab sich ein gigantischer Blick. Im Süden war Mailand zu erkennen und im Norden die Hochalpen des Südens. Das erste Aufdrehen als Team, die Weitsicht und die Freude auf den bevorstehenden Flug beflügelten uns.
Eine wunderschöne Seenlandschaft in Italien um Lugano und Como zeichnete den Anfang des Fluges und brachte uns schnell wieder zur östlichen Schweizer Grenze. Spannend war es zu beobachten wie die stabile Luftmasse der Poebene die südlichen Voralpen schnell stabilisierte. Oft waren wir nur noch an der letzten guten Thermikwolke. Die Flugtaktik war in den ersten drei Stunden nicht zu pushen und immer maximale Höhe zu machen. Das Zusammenspiel in einer Gruppe mit unterschiedlichen Niveaus kann herausfordernd sein. Doch die Zusammenarbeit als Team brachte uns immer weiter Richtung Norden.
Zurück zum Flug. Um 17:30 Uhr haben wir die Entscheidung getroffen statt zu dem Splügenpass zum San Bernadino Pass zufliegen. Am abendlichen Westhang bestand die grössere Chance, dass wir weiter Richtung Norden kommen. Nach ruhigem und technischen Fliegen hat es fast die ganze Gruppe nach Soazza geschafft. Ein Abenteuer darf aus unserer Sicht auch etwas Luxus beinhalten, somit fanden wir uns in einer sehr schönen Unterkunft im Tal wieder und hatten schnell eine leckere Pizza auf dem Teller.
Nach dem obligatorischen Debriefing des Tages und einer Planung für den nächsten Tag ging es mit fantastischen Bildern im Kopf ins Bett.
Fazit des Tages:
- Die Gruppe gibt Sicherheit, diese ermöglicht viele Beobachtungen, um effizient weiterzukommen.
Zweiter Tag 03.08.2022
Soazza – Walensee
Hike: 5 km 1350 hm
Fly: 85 km
In Soazza befanden wir uns in einer optimalen Ausgangslage den Tag zu starten. Ein Aufstieg mit 1350 hm Differenz zum Talboden gab uns in einem Südosthang ein gutes Gefühl den technisch anspruchsvollen Flug zum Walensee zu meistern. Optisch sahen die Bedingungen sehr gut aus, aber in der Luft teilte uns Chrigel über die App Zello mit, dass die Thermik eher schwach bis mässig war. Schnell den Schalter auf «vorsichtig fliegen« umlegen, somit haben wir uns sicher und taktisch gut zum San Bernardino Pass vorgearbeitet. Laute Jubelschreie waren aus allen Richtungen zu vernehmen, als wir mit 2400 m am Südhang des Passes in sanften Kreisen um weitere ausschlaggebende 200 m in die Höhe stiegen.
Hinter dem Pass sind wir mit einer bewussten Entscheidung in die absinkende Luft geglitten. Eine lange leicht ansteigende Topographie im Luv erzeugt schlussfolgernd eine kurze, kaum turbulente Abwindzone. Und wo es sinkt, muss es auch irgendwo steigen. So kreisten wir am gegenüberliegenden, perfekt beschienenen Prallhang umso besser. Mit wenig Mühe ging es Richtung Flims/Laax. Am Übergang zum Glarnerland auf 3200 m war das Ziel zu sehen. Eine traumhafte Alpenlandschaft erstreckte sich vor uns, die von der tief stehenden Sonne in abendliches Licht getränkt wurde. Noch am Morgen auf der Alpensüdseite aufzuwachen und am späten Nachmittag das nördliche Flachland der Schweiz zu sehen, sind Momente, die wir nicht so schnell als Gruppe vergessen werden. Noch eine kurze fliegerische Herausforderung östlich von Glarus Süd und der wohlverdiente kühle Sprung in den Walensee war nicht mehr fern. Schnell die Live-Windwerte und den Standort von Chrigel auf burnair Map gecheckt und nach und nach landeten wir nahe dem Walensee und genossen die Abendlichen Stunden.
Drei Teilnehmer aus der Gruppe sind erst später am Abend zum geselligen Käsefondue dazugestossen. Am San Bernadino wurden sie zur Landung gezwungen und fuhren zum einen mit dem ÖV zum Walensee oder probierten nochmals in die Luft zu kommen. Schöne Gespräche über gemeinsam erlebtes und lehrreiche Geschichten rundeten den Tag ab. Mit Vorfreude auf den nächsten Tag schliefen wir zufrieden ein.
Fazit des Tages:
Das Gruppenfliegen ist durchaus hilfreich, aber jeder aus der Gruppe sollte aktiv mitfliegen und seine Gedanken mitteilen, wie z.B. Bedenken oder Beobachtungen. Gute Linien können besser erkannt, gutes Steigen angezeigt oder Absinkzonen umflogen werden.
Dritter Tag 04.08.2022
Walensee – Frauenfeld
Hike: 16 km 700 hm
Fly: 40 km
Nach einem schweisstreibenden Aufstieg befanden wir uns um 11:30 Uhr am traumhaften Startplatz unter dem Mattstock, Walensee. Dort analysierten wir den interessanten Flug Richtung Norden mit den entsprechenden Lufträumen. Wir hatten Zeit, da die Prognose für das Flachland erst um 13 Uhr wirklich vielversprechend aussah.
Ein Blick auf die Ansicht von der burnair Map, Anrufe bei Flugplätzen, dem Flughafen Zürich und Gespräche mit Bekannten, die sich mit Lufträumen gut auskennen, hat für mehr Klarheit gesorgt.
Am Abend zuvor gab es schon verschiedene Pläne und noch keine konkrete Idee. Mit einem guten Leitsatz von Chrigel konnten wir den vorherigen Abend beenden und den aktuellen Tag anpassen.
Leitsatz: Am Abend verschiedene Pläne ausarbeiten und diese bis zum Startzeitpunkt am nächsten Tag verfeinern. Nicht am Abend erwarten, dass man schon den perfekten Plan haben muss. Flexibel bleiben, um den best case zu finden.
Der Plan war es bis Münchwillen, TG zu kommen. Mit einer Westströmung im Mittelland nicht gerade einfach. Die erste Gleitpassage in der Gruppe mit einer Abflughöhe von 3200 m war fantastisch. Mit dem Flug aus den Alpen in das Flachland, war das Ziel schon zum Greifen nahe. Der Blick zum Bodensee und den Rhein entlang, war fast der nördlichste Punkt zu erkennen. Die Spannung stieg, als wir Meter für Meter dem Boden immer näher kamen, gerade so über der nächsten Abrisskante konnten wir wieder hoch zusammen aufdrehen. Kurz vor der Einflugschneise des Flughafens Zürich mussten wir auf 2000 m abspiralen, um den Luftraum nicht zu verletzen. Einer nach dem anderen musste leider landen gehen und somit reduzierte sich die Gruppe Stück für Stück. Die weitesten Flüge waren mehr als 40 km lang. Es ist fantastisch, nicht alles in der Hitze laufen zu müssen. Nächster Treffpunkt Freibad, um auf die kühlen Abendstunden zu warten. Anschliessend ging es in einer herrlichen Abend Kulisse 13 km bis zum Camping nähe Frauenfeld.
Manche aus der Gruppe haben sich geschont, sind mit dem ÖV vorgefahren und haben ein tolles Abendessen am Grill vorbereitet. Ein lustiger Abend mit guten Gesprächen fand ein spätes Ende und es erwartete uns eine kurze Nacht.
Fazit des Tages zum Flachland Flug:
- Lieber ein wenig von der Ideallinie abweichen, um nicht gegen den Wind fliegen zu müssen
- Anzeichen wie Vögel, Fahnen, Staub, bewegende Bäume oder Blätter beachten
- Geduldig sein
- die Gruppe hilft ungemein
Vierter Tag 05.08.2022
Hike: 50 km 600 hm
Um die Kühle des Morgens auszunutzen starteten wir um 5:00 Uhr unseren Tag. Vor uns lag eine Fussstrecke von 50 km. Hauptsächlich Asphalt erwartete uns, was unsere Füsse schnell forderte. Somit ging es mit guter Stimmung, aber müden Gesichtern Richtung Norden.
Ein Tag in der Hitze und auf dem Asphalt kann so einiges abverlangen. Die Gruppe hat beträchtlich geholfen, weiterhin motiviert zu bleiben. Mit dem Ziel in Sicht lohnte es sich am Ende nochmal für die letzten km auf die Zähne zu beissen. Einige aus der Gruppe haben ihre körperlichen Grenzen erkannt und den Bus für gewisse Abschnitte genommen oder auch einfach einen E-Scouter ausgeliehen.
Die letzten Meter zum nördlichsten Punkt erfüllten uns mit Stolz und purer Freude. Nach 100 km zu Fuss, 4300 hm und 200 km in der Luft waren Jubel und Jauchzen schon durch den Wald zu hören, als die Ersten im Ziel eintrafen.
Mit schäumendem Champagner, strahlenden Gesichtern und einem Teamerlebnis, dass kaum in Worte zu fassen ist, ging ein schönes Abenteuer zu Ende. Noch lange werden uns die Bilder im Kopf und die Emotionen im Herzen begleiten. Wir möchten uns ganz herzlich bei unserem wunderbaren Freund und Trainer Chrigel Maurer bedanken, der uns immer wieder auf diese tollen Abenteuer mitnimmt. Die X-Alps Academy wurde für die Förderung des Hike & Fly Sportes 2018 ins Leben gerufen. Die Firma TeamWork Schweiz AG aus Bern unterstützt mit ihrem Sponsoring solche Projekte, für das wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken!
Learnings des Tages:
- Bedürfnisse früh und ehrlich mitteilen
- Sein eigenes Tempo gehen
- Wenn man nur daran denkt z.B. die Füsse später zu tapen, dann sollte man es sofort machen
- Hitze, Schmerzen und Anstrengung verändern stark das emotionale Befinden
- Gute Fusspflege vor und während dem Laufen
Hilfreiche Tools |
Flug: Für die Flugplanung, Wetterprognose, Live Tracking (Sicherheit,Taktik und Orientierung in der Gruppe), Startplatz Suche, Thermikprognose, Live Windwerte, Lufträume und Previtemps haben wir vor allem die burnair Map genutzt. Weitere Infos unter https://www.burnair.ch/ Hike: Für die Orientierung und das Routing haben wir online wie offline Karten von Osmand, Reliefsmaps und Swisstopo genutzt. Kommunikation: Die App Zello Shokz – Headsets |